„Banaler“ Rassismus und die Angst vor sozialer Deklassierung

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Die Auseinandersetzungen um die dezentrale Asylunterbringung in Leipzig

Die Debatte um die Situation der Asylsuchenden in Leipzig ist nicht neu. Bereits 2010 sollten aufgrund der katastrophalen Zustände die Bewohner_innen zweier „zentraler Sammelunterkünfte“ andernorts einquartiert werden. Die Stadtverwaltung plante damals, ein zentrales Containerlager in direkter Autobahnnähe zu eröffnen. Erst nach Protesten beschloss der Stadtrat im Juni 2010, ein mehr dezentrales Konzept für die rund 40 Prozent der Asylsuchenden zu erarbeiten, die nicht in eigenen Wohnungen untergebracht sind.[1] Einer vollständigen Dezentralisierung stehen Landes- und Bundesgesetze im Weg, die selbstbestimmte Wohnmöglichkeiten generell nur nach sog. humanitärem Ermessen der Behörden zulassen.

2012: Das fertige Konzept und vielstimmige Proteste

Am 8. Mai 2012 präsentierte der Leipziger Sozialbürgermeister das neue Konzept. Es sieht die Verteilung von mehr als 200 Asylsuchenden auf sechs Mehrfamilienhäuser in den Stadtteilen Plagwitz, Portitz, Wahren, Eutritsch, Schönefeld/Dölitz-Dösen und Grünau ab November 2013 vor.[2]

Gegen das städtische Vorhaben regte sich erneut Widerstand. Doch dieses Mal kritisierten die Leipziger_innen nicht die menschenunwürdigen Bedingungen in Sammelunterkünften. Stattdessen entbrannte der Protest vor allem in einigen der Gebiete, in denen die Unterbringung geplant war, und folgte anderen Begründungsmustern. Zum Teil sehr aggressiv wurde in Stadtbezirksbeiratssitzungen, in denen das Konzept vorgestellt wurde, von „Angst ums Hab und Gut“ gesprochen und der Verlust von Immobilienwerten sowie die Gefährdung der eigenen Sicherheit befürchtet.

Unterschieden werden muss zwischen dem Protest in Wahren und Portitz und den Reaktionen der Bevölkerung in Grünau. In Grünau gibt es bereits eine Asylunterkunft. Hier waren die Proteste vor allem von der Angst um soziale Deklassierung geprägt. In den sozio-ökonomisch besser gestellten Stadtteilen wehrten sich die Bürger_innen hingegen gegen die Zerstörung ihrer „Idylle“. Ziel der neu gegründeten „Bürgerinitiative Leipzig-Wahren“ ist beispielsweise, sich „für den Erhalt Wahrens als historisch gewachsenes Wohngebiet mit homogener sozio-kultureller Bevölkerungsstruktur [einzusetzen]“.[3] Und nach dem Motto „Nicht in meiner Nachbarschaft“ lehnen die Protestierenden in Portitz die Unterbringung von Asylsuchenden in ihrem Stadtteil ab, befürworten aber den Standort in Grünau.[4]

Auch die lokale Politik blieb von dem Zorn der betroffenen Bürger_innen nicht unberührt. Vor allem die CDU und die neonazistische NPD agitierten gegen die Pläne der Stadtverwaltung und versuchten, aus dem Protest politischen Profit zu schlagen.

Gegenstimmen und Standhaftigkeit

Als Reaktion auf diese rassistisch geprägten Proteste gründete sich ein Initiativkreis. Er setzte sich in einer Unterschriftenaktion für eine kritische Zustimmung zum Dezentralisierungskonzept der Stadt ein. Innerhalb eines Monats sammelte der Kreis 5.410 Unterschriften. Außerdem suchten Vertreter_innen der Initiative den Kontakt zu den Asylsuchenden, intervenierten in den Stadtbezirksbeiratssitzungen und organisierten Kundgebungen.[5] In Plagwitz, hier sollen nach den Plänen der Stadt ebenfalls Asylsuchende untergebracht werden, gründete sich die Initiative „Offene Nachbarschaft Leipzig-Südwest für Flüchtlinge“.[6]

Das zwischenzeitlich leicht verbesserte Konzept (In einem Antrag schlugen die Fraktionen von SPD, DIE LINKEN und B90/Die Grünen neue Standorte vor, mit denen die anvisierte Obergrenze von 50 Personen pro Objekt eingehalten werden kann) stand am 18. Juli zur Abstimmung im Stadtrat.

Der Antrag wurde in fast allen Punkten angenommen. Einzig eine Änderung fand wenig Zuspruch: Die Einbeziehung der Asylsuchenden bei der Umsetzung des Konzepts wurde abgelehnt.[7]

Wie ist das alles zu deuten?

Rassistische Normalzustände in der Gesellschaft.

Die bekannten Einstellungsstudien[8] zeigen eine hohe Verankerung rassistischer Denk- und Handlungsmuster in der Gesellschaft. Kurzum: Die Mehrheitsgesellschaft ist rassistisch und die lokalen Sozialräume (Nachbarschaften etc.), die Institutionen (Behörden, Ämter etc.) sind es logischerweise auch. Vor diesem Hintergrund lassen sich die rassistischen Äußerungen und Aktivitäten in Leipzig einordnen.

Die Behauptung, der Stadtteil Grünau dürfe nicht zu „Kreuzberg“ werden, ist Teil einer lokal angepassten rassistischen Erzählung „Made in Germany“. Der Stadtteil wird zum Verteidigungszentrum einer vermeintlich festgeschriebenen „deutschen“ Identität, die nicht, wie im Klischee von Berlin-Kreuzberg, migrantisch überformt werden soll. Dass sie dies empirisch betrachtet längst ist, wird dabei außer Acht gelassen.

Die zentralen Argumente in der Auseinandersetzung waren Vorurteile, die einen festen Platz im rassistischen Wissen der Gesellschaft haben.

Angst vor dem Absturz? Soziale Klassenkämpfe und Rassismus.

Die in Grünau angezeigten „sozialen Probleme und Konflikte“ [9] lassen sich noch anderweitig interpretieren: Die rassistischen Praktiken haben auch ihre Begründungen in den sozialen Lagen der von politischen und ökonomischen Prozessen negativ Betroffenen. Der Rassismus ist somit auch eine Trotz- und Ermächtigungsstrategie von schon sozial benachteiligten Gruppen oder von Leuten, die Angst vor dem sozialen Absturz haben. Daraus ergibt sich allerdings nicht die einfache Schlussfolgerung, dass es nur allen besser gehen muss, um Rassismus zu bekämpfen oder gar zu beseitigen. Die „Sarrazin-Debatte“ zeigt, dass Wohlstand alleine Ungleichwertigkeitsideologien nicht beseitigt. [10] Der „Rassismus in der Leistungsgesellschaft“ (ebd.) ist sowohl in den Herrschaftsklassen wie auch in den Mittel- und untergeordneten Klassenfraktionen erkennbar.

Die Argumente gegen Wohlstandsverlust im lokalen (ob in Grünau oder in Wahren) oder im nationalen Rahmen haben ähnliche Strukturen und Begründungslogiken. Während sich Sarrazin um den Absturz und den vermeintlichen sozialen und biologischen Verfall der BRD seine rassistischen, chauvinistischen und sozialdarwinistischen Sorgen macht, wollen die anderen ihre Nachbarschaft und Immobilien vor dem (weiteren) ökonomischen und sozialen Verlust schützen.

Letztendlich ist es ein ganz „banaler“ Rassismus, der sich in Leipzig Bahnen bricht: Banal in dem Sinne, dass er kein „heißer“ Rassismus ist, der die „Nation“ oder den rassistischen Staat neu „schmiedet“ – also erst erschaffen muss. [11] Der banale Rassismus wird täglich (re-)produziert, auf der Straße, in der Bahn, den Ämtern oder im Stadion. Er bezieht sich auf ein als natürlich behauptetes Kollektiv („Nation“, „Deutschland“), ruft aber keine totale Mobilmachung einer ganzen „Nation“ auf. „Nur“ die Mobilisierung etwa einer Bürgerinitiative wird verlangt. Es geht hier also um eine alltägliche Erneuerung rassistischer Normalzustände. In unserem Fall sind diese Alltagspraktiken von den Ereignissen um die Unterbringung der Asylsuchenden beeinflusst worden. Morgen ist dieses Ereignis vielleicht vergessen. Der alltägliche Rassismus wird dadurch nicht weniger – er bleibt ein „banaler“ Leipziger Zustand.

Der Stadtverwaltung und den Stadtratsfraktionen von SPD, der LINKEN und B90/Die Grünen muss man bei dieser Debatte anerkennend zugestehen: Sie sind beim Konzept der dezentralen Unterbringung nicht umgekippt. Das ist immerhin ein Anfang. Mehr ist es nicht.

Stefan Kausch, Alexander Stärck, unter Mitarbeit von Katja Sternberger | [Forum für kritische Rechtsextremismusforschung (FKR), Leipzig]

(Dieser Artikel erscheint ebenfalls im Aktuellen Newsletter des Vereins Miteinander e. V. aus Sachsen-Anhalt. Infos zum Verein und denaktuellen Aktivitäten und Veröffentlichungen finden Sie hier).


 

Fussnoten

1 http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/2D7745B0ACF50733$FILE/V-a-6+7-nf-2.pdf, 29.08.2012

2 http://www.lvz-online.de/leipzig/citynews/stadt-leipzig-schliesst-umstri…, 29.08.2012

3 BI-Leipzig-Wahren: Brief an die Stadträte vom 10.07.2012

4 http://www.lvz-online.de/leipzig/citynews/buerger-protest-gegen-dezentra…, 29.08.2012

5 Ausführliche Infos unter http://www.menschen-wuerdig.org/, 29.08.2012

6 http://www.l-iz.de/Politik/Brennpunkt/2012/07/In-Plagwitz-sind-Asylsuche…, 29.08.2012

7 http://jule.linxxnet.de/index.php/2012/07/unterbringungskonzept-fur-asyl…, 29.08.2012

8. u. a. vom Team um Decker, Weißmann und Brähler (2006-2010), sowie die von Heitmeyer und Co. angelegte Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ (Folge 1-10, 2002-2012)

9 http://initiativkreis.blogsport.de/images/SCAN0003.JPG, 04.08.2012

10 zur Analyse dieses Phänomens siehe u. a. Sebastian Friedrichs (2011): Rassismus in der Leistungsgesellschaft, Münster.

11 Vgl. zur Unterscheidung von „banal“ und „hot nationalism“ Michael Billig (1995): Banal Nationalism, London. Siehe dazu auch Oliver Kohns (2011): Diskurse der ‘nationalen Identität’ in Deutschland: Der Fall Sarrazin aus kulturwissenschaftlicher Perspektive, in: kultuRRevolution Nr. 60, Juni 2011.

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