FKR-Positionspapier: Es gibt nichts zu diskutieren!

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Gegen den Verfassungsschutz - in der Bildungsarbeit und überall:

Karl Theodor zu Guttenberg spricht als Experte zum Thema „Wie schreibe ich eine Doktorarbeit?“ an der Universität Leipzig. Lance Armstrong hält einen Vortrag „Fitness effizient steigern“ am Landessportgymnasium. Und Anton Schlecker wird als geschätzter Experte zum Thema „Den Einzelhandel zukunftsfest aufstellen“ in die Leipziger Handelskammer eingeladen.  Absurd? Nun ja, am 4.12.2012 will der Präsident des sächsischen „Verfassungsschutzes“ (VS) im Neuen Rathaus die Frage diskutieren, ob und wie sich sein Geheimdienst in der politischen Bildungsarbeit engagieren kann. Eine Dreistigkeit sondergleichen, nicht nur angesichts des systematischen Versagens der Behörde!

Im November 2011 wird mit dem Auffliegen des Terrornetzwerks „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) das größte Versagen in der Geschichte bundesdeutscher Sicherheitsbehörden öffentlich. Eine Neonazi-Gruppe ist über ein Jahrzehnt mordend und raubend durchs Land gezogen. Viele Menschen wurden bei Anschlägen verletzt. Zehn bezahlten mit ihrem Leben. Polizei und „Verfassungsschutz“ suchten die Täter derweil in migrantischen Milieus. Schließlich stammten ihre Opfer aus der Türkei und Griechen­land. Also mussten die Täter ebenfalls aus den Kreisen „krimineller Ausländer“ stammen, so die rassistische Logik der Sicherheitsbehörden.

Ein Jahr später versuchen parlamentarische Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern noch immer, Licht ins Dunkel der Geheimdienst-Affäre zu bringen. Klar ist bisher: Der Verfassungsschutz war nicht nur unfähig, die tatsächlichen Hintergründe zur Mordserie zu erkennen. Zusammen mit der Polizei hat er mehrfach Chancen zur Ergreifung der Täter_innen ungenutzt gelassen. Darüber hinaus hat er ihre neonazistischen Unterstützungsstrukturen über Jahre finanziell mit aufgebaut und vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt. Er hat zudem –  während er die Gefahren von rechts im Rahmen seiner „öffentlichen Berichtspflicht“ klein geredet hat – linke und zivilgesellschaftliche Strukturen, die sich gegen Neonazismus und Diskriminierung engagieren, systematisch behindert und kriminalisiert.

Versagen mit System

Laut Gesetz soll die Aufgabe der VS-Behörden sein, dem Schutz der Demokratie der BRD zu dienen. Der Kritik am VS wird derzeit oft mit dem Gleichnis begegnet, man schaffe doch auch nicht die Feuerwehr ab, nur weil es ihr einmal nicht gelungen sei, einen Brand zu löschen. Dieses Gleichnis wäre jedoch nicht einmal treffend, würden wir als normal akzeptieren, dass die Feuerwehr potenzielle Brandstifter_innen regelmäßig mit Benzin und Streichhölzern ausrüstet. Denn seit ihrer Gründung hat die „VS-Wehr“ sys­tematisch Brandherde ignoriert und andere selbst mit angefacht. Unabhängig davon sollte klar sein: Demokratie und ihre Verteidigung ist keine Sache von Brandbekämpfer_innen, Demokratie ist nicht die Sache einer Behörde. Sie entsteht und wird gelebt durch die Menschen in dieser Gesellschaft. Sie muss immer wieder aufs Neue hergestellt werden, durch Teilhabe, Mitsprache und Kritik. Eine Demokratie, die ihren Schutz von einem Geheimdienst abhängig macht, hat schon verloren.

Reale Demokratiebeschädigung

Es hat sich gezeigt: Der VS mit seiner Arbeits­grundlage, der sogenannten Extremismustheorie, ist kein Schutz, er ist eine reale Gefahr für die demokratische Kultur. Durch das Phantasma von bedrohlichen politischen Rändern und einer problemfreien Mitte werden linke und antifaschis­tische Strukturen von vornherein unter Verdacht gestellt und kriminalisiert, während gleichzeitig die Bedrohung durch menschenfeindliche Gewalt- und Terrorakte verharmlost wird. Deren Grundlagen, autoritäre Einstellungen und grassierender Alltagsrassismus in der Gesellschaft, bleiben derweil in der Problemwahrnehmung vollkommen außen vor, genauso wie struktureller und institutioneller Rassismus. 

VS als Bildungsbehörde?

Es ist nicht überraschend, dass sich große und teure Staatsapparate krampfhaft gegen Reformen oder ihre Abschaffung wehren. Vor allem,  wenn sich zeigt, dass sie für ihre Aufgabe nicht geeignet sind. Zwar lässt der Rücktritt vieler VS-Chefs auf Bundes- und Landes­ebene tiefe Risse in diesem System vermuten. Ein grundlegendes Umdenken ist derweil nicht zu erkennen: Nicht nur, dass trotz der offenkundigen Skandale jegliches Schuldeingeständnis ausblieb. Mit der üblichen Routine werden Akten geschreddert, Beweise der Verwicklung vernichtet und Untersuchungsausschüsse belogen.  

Doch während die Vertuschung seit jeher zu ihrem Repertoire gehört, versucht die Spitzelbehörde neuerdings, ihren Aktionsradius bis weit in die Zivilgesellschaft hinein auszudehnen. „Offen und transparent“ möchte man sich geben. Sich mehr als Nachrichten- denn als Geheimdienst präsentieren. Mittel für Öffentlichkeitsarbeit werden aufgestockt, PR-Expert_innen engagiert, „Bildungskonzepte“ gestrickt. Dieselbe falsche Rationalität, die für das systematische Unvermögen des VS verantwortlich ist, soll nun noch mehr mit Ausstellungen, wie der nun in Leipzig gezeigten, mit Schulprojekttagen, Comics und Broschüren oder öffentlichen „Informationsveran­staltungen“ unters Volk gebracht werden. Doch eine politische, alles andere als neutrale Behörde wie der Verfassungsschutz mit seiner rechten Schlagseite hat weder in Schulen noch in Rathausfoyers etwas zu suchen!

Wir nehmen zur Kenntnis, dass in Leipzig wenigstens noch die Frage gestellt wird, ob der Versagerdienst Bürgerinnen und Bürger mit seiner Unfähigkeit auch noch im Bildungsbereich behelligen sollte.

Wir sind jedoch der festen Überzeugung: Schon mit der Erfüllung seiner ureigensten Aufgabe, dem Schutz der Demokratie, vollends überfordert, hat der „Verfassungsschutz“ seine Überflüssigkeit zur Genüge unter Beweis gestellt. Wir wollen ihm nicht noch die Chance geben, als Bildungsdienstleister zu versagen. Da gibt für uns nichts zu diskutieren!


Das Forum für kritische Rechtsextremismusforschung (FKR) besteht seit 2005 und agiert als Schnittstelle für die wissenschaftliche und praktische Arbeit im Themenfeld Neonazismus/Rassismus. Die kritische Auseinander­setzung mit dem wissenschaftlichen und politischen Deutungsmuster „(Rechts-)Extremismus“ ist dabei zentral. Zu diesem Thema haben wir im Verlag für Sozialwissenschaften den Sammelband „Ordnung. Macht. Extremismus. Effekte und Alternativen des Extremismus-Modells“ herausgegeben. Die Mitglieder des FKR studieren, arbeiten und forschen an verschiedenen Instituten der Universitäten Leipzig und Frankfurt am Main und in  zivilgesell­schaftlichen Verbänden.

 

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