Offener Brief zum Moratorium am Institut für Politikwissenschaft

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EnWi hat sich gegenüber der drohenden Schließung des Instituts für Politikwissenschaft in einem Offenen Brief an das Rektorat der Universität Leipzig positioniert.

Mit Verwunderung haben wir das vom Rektorat der Universität Leipzig verhängte „Moratorium“ über die zu besetzenden Stellen am Institut für Politikwissenschaft zur Kenntnis genommen – mit Verärgerung die lapidaren Einschätzungen von Rektorin Schücking zur unklaren Zukunft der Politikwissenschaft in Leipzig überhaupt.

Wir möchten Ihnen an dieser Stelle am Beispiel unseres Vereins vor Augen führen, dass mit dem Institut für Politikwissenschaft ein produktiver Raum und ein Experimentierfeld engagierter Wissenschaft aus dem universitären und städtischen Leben in Leipzig verschwinden würde. Engagierte Wissenschaft e.V. ist aus einer studentischen Initiative am Institut für Politikwissenschaft entstanden, der Großteil seiner Mitglieder sind Studierende und Absolvent_innen der Leipziger Politikwissenschaft, die mittlerweile seit Jahren erfolgreich Projekte im Bereich der Forschung, politischen Bildung und Kulturarbeit sowie Politikberatung durchführen. Verwiesen sei hier insbesondere auf die Arbeitsgemeinschaften Chronik.LE und Forum für kritische Rechtsextremismusforschung. Chronik.LE verfolgt das Ziel einer möglichst umfassenden Dokumentation neonazistischer, rassistischer und diskriminierender Aktivitäten im Raum Leipzig. Das Forum für kritische Rechtsextremismusforschung arbeitet mit Konferenzen, Workshops, Vortragsangeboten und Publikationen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis. Unter den Kooperationspartnern des Vereins finden sich neben Akteuren wie der Stadt Leipzig, der Stadt Halle/Saale oder der Landeskulturstiftung nach wie vor auch Personen und Organisationen am Institut für Politikwissenschaft. Die gesellschaftliche Relevanz einer kritischen Politikwissenschaft zeigt sich gerade im Wechselspiel der institutionalisierten Forschung und Lehre mit dem zivilgesellschaftlichen und politischen Umfeld – und hier können wir auf fruchtbare Zusammenarbeit bei Diskussionsveranstaltungen und Vortragsreihen, Konferenzen und Workshops zurückblicken.

Den universitären Kern von EnWi bildet seit mittlerweile 9 Jahren die Diskurswerkstatt als interdisziplinärer und offener Raum für kritische Lektüre und Diskussion. Mit dem Institut für Politikwissenschaft verbinden sie zahlreiche Kooperationen und personelle Überschneidungen – so sind, neben Studierenden, immer wieder auch DoktorandInnen und DozentInnen eingebunden. Lange Zeit konnte sie Institutsräume nutzen, im Sommersemester 2011 stellte die Fachschaft kurzfristig ihren Raum zur Verfügung. Thematisch konnte sie, neben einigen Überschneidungen, vielfach gerade dort anknüpfen, wo das Angebot des Instituts durch die strukturelle Unterentwicklung und Mittelknappheit lückenhaft war – postkoloniale Studien, feministische und kritische Theorie, Wissenschafts- und Erkenntnistheorie, transdisziplinäre Ansätze unter Einbezug der Naturwissenschaften etc. Die drohenden Kürzungen am Institut für Politikwissenschaft nehmen wir auch aus dieser Perspektive mit Besorgnis und Verärgerung wahr. Schon unter den bisherigen Bedingungen war deutlich spürbar, dass die von uns und ähnlichen Initiativen geleistete Erweiterung des sich thematisch verengenden Lehrangebotes kein Ersatz für eine kritische und differenzierte universitäre Lehre und Forschung sein kann.

Dem Institut weiter die – ohnehin knappen – Mittel zu kürzen und damit letztlich den wissenschaftlichen, personellen und politischen Austausch mit den diversen zivilgesellschaftlich aktiven Initiativen zu unterlaufen, ist wissenschafts- wie gesellschaftspolitisch weder nachzuvollziehen noch zu rechtfertigen. Die Absurdität einer (scheinbar diskutierten) Abwicklung der Politikwissenschaften gerade in Leipzig dürfte vor dem Hintergrund der politischen Herausforderungen für Stadt und Region – und gerade auch der Universität selbst – bspw. im Feld der nach wie vor unerträglich hohen rassistischen Einstellungswerte, nicht zuletzt historisch ins Auge fallen. Als Verein, der an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis arbeitet und sich in seinen Arbeitsgemeinschaften jeden Tag mit der gesellschaftlichen und politischen Relevanz der Sozialwissenschaften auseinandersetzt, können wir die Gedankenspiele um die Abwicklung der Politikwissenschaft in Leipzig nur zurückweisen. Wir unterstreichen an dieser Stelle noch einmal die gut dokumentierten Argumente für das Modell der Volluniversität sowie zur praktischen Relevanz der Sozialwissenschaften im Allgemeinen und der Politikwissenschaft im Speziellen. Auch sollte dem Rektorat der Universität klar sein, dass eine nachhaltige Organisationsentwicklung nicht auf Korrelationen zwischen kurzfristig gedachten Haushaltszielen des Landes und zufällig zugleich unbesetzten Stellen an einem Institut aufbauen kann. Würden das Land und/oder das Rektorat Kriterien wie die studentische Nachfrage, gesellschaftliche Relevanz oder die Notwendigkeit fachwissenschaftlicher Differenzierung zur Planungsgrundlage machen, hätte die Diskussion so nie begonnen – und letzteres betrifft die geplanten Stellenstreichungen in Sachsen insgesamt.