In der Extremismus-Falle

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Zur Skandalisierung der Veranstaltung zum „65. Jahrestag der Befreiung von Krieg und Faschismus am 8. Mai“ auf dem Lindenauer Markt

Das Forum für kritische Rechtsextremismusforschung bemängelt die Darstellung und Skandalisierung der in Leipzig geplanten Protestaktion zum „65. Jahrestag der Befreiung von Krieg und Faschismus am 8. Mai“ durch die Leipziger Volkszeitung.

Gedenken ohne Geschichte, Demokratie ohne politische Auseinandersetzung - irritierende Forderungen finden sich in der Leipziger Volkszeitung vom 6. Mai. Die AutorInnen nutzen den für Samstag geplanten Protesttag gegen das NPD-Zentrum in der Odermannstraße anlässlich des 65. Jahrestages der Befreiung vom Nationalsozialismus zur Skandalisierung und entdecken Bürgermeister Jung „in der Anitfa-Falle“. Diese Skandalisierung, die Kritik und Forderungen anlässlich der Protest-Aktion zeugen von einem fatalen Geschichtsverständnis und sind ein weiterer Beleg für die problematische Wirkung der Extremismus-Formel. Denn das Beispiel zeigt: der Extremismus-Begriff beschränkt das Demokratieverständnis auf formale Parolen, produziert Geschichtsvergessenheit und lenkt die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Thema der Aktion ab.

Der von einem breiten Kreis an Personen unterstützte Aufruf zur Aktion auf dem Lindenauer Markt wird von der Zeitung als „Unsinn“ abgekanzelt, der „wirre“ Parolen enthalte. Konkret kritisiert wird daran jedoch nur die Bezeichnung des 8. Mai als „Tag der Befreiung für alle vom deutschen Faschismus bedrohten Völker“. Gunter Weißgerber (Ex-MdB, SPD) und Thomas Feist (MdB, CDU), die der Zeitung als Stichwortgeber dienen, offenbaren mit ihrer Kritik daran ein fatales Geschichtsverständnis. Weißgerber wendet gegen diese Bezeichnung ein, dass nach dem 8. Mai russische Kriegsgefangene „schnurstracks in[s] Stalins Lager marschieren mussten“. Dass es solche Fälle gab, wird in dem Aufruf des Erich-Zeigner-Hauses keinesfalls bestritten. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Überwindung des NS-Regimes in Deutschland eine Befreiung darstellte. Noch weiter in der historischen Relativierung geht Feist, wenn er behauptet, dass der 8. Mai „den Ostdeutschen nicht die Freiheit gebracht“ habe. Auch Weißgerber wird mit der Behauptung zitiert, im Osten sei „die Freiheit erst mit der Friedlichen Revolution errungen worden“. Damit setzen beide implizit die DDR – die als solche genauso wie der Stalinismus in der Sowjetunion kritisiert werden kann – mit dem nationalsozialistischen Deutschland gleich und zeichnen ihrerseits ein einseitiges Bild, in dem das Fortwirken von Ideologien der Ungleichwertigkeit in der Bundesrepublik unbenannt bleibt.

Weißgerber und Feist fallen mit ihrer Ablehnung der Bezeichnung „Tag der Befreiung“ auch hinter den ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (CDU) zurück, der den 8. Mai bereits vor 25 Jahren in einer viel beachteten Rede vor dem Bundestag als „Tag der Befreiung“ vom „menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ würdigte. Dominierte bis dahin im öffentlichen Diskurs der Bundesrepublik eher der Gedanke an die deutsche Niederlage, war man die öffentliche Ablehnung des Begriffs der Befreiung für den 8. Mai seitdem eigentlich nur noch von Alt- und Neonazis gewöhnt.

Neben der Bezeichnung „Tag der Befreiung“ stoßen sich laut LVZ „einige Sozialdemokraten“ – neben Weißgerber wird noch der Leiter des Zeitgeschichtlichen Forums Rainer Eckert angeführt – daran, dass der Protesttag auch von einzelnen Vertreter_innen der DKP und des VVN/BdA unterstützt wird. Ausgerechnet dem Verband der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten e.V. die Beteiligung an einer Aktion anlässlich des Tages der Befreiung vom Nationalsozialismus vorzuwerfen, ist schon ziemlich kühn. Dass die Vereinigung der Nazi-Verfolgten genauso wie die Deutsche Kommunistische Partei von einigen Verfassungsschutzämtern als „linksextremistisch“ eingestuft und daher überwacht wird, rechtfertigt unserer Meinung nach nicht, sie von allen Aktionen gegen Neonazis auszuschließen. Dafür ist der rechtlich nicht kodifizierte Begriff des „(Links-)Extremismus“ viel zu problematisch. DKP und VVN-BdA allein mit Berufung auf den Verfassungsschutz als „Feinde von Freiheit und Demokratie“ zu bezeichnen und damit aus dem Raum des politisch Erlaubten verbannen zu wollen, ist zumindest heikel. Noch fragwürdiger ist es, den Aufruf für die Veranstaltung in Lindenau, der explizit den Untertitel „Ein Tag für Frieden, Demokratie und Weltoffenheit“ trägt, mit Verweis auf einzelne Unterzeichner_innen in Gänze zu diskreditieren.

Trotzdem beharrt Weißgerber darauf, es handele sich bei den Unterzeichner_innen des Aufrufs, die DKP und VVN-BdA angehören, um „Extremisten“, mit denen zusammen er nicht gegen die anderen „Extremisten“ – also die Neonazis in der Odermannstraße – ziehen wolle. In gleicher Manier behauptet ZFL-Chef Eckert, dass es zwar richtig sei, den Neo-Nationalsozialismus zu bekämpfen, aber „die linksradikale Gefahr“ oft übersehen werde. Nun ist es absurd, die vom SPD-nahen Erich-Zeigner-Haus initiierte und von Mitgliedern verschiedenster Parteien und zivilgesellschaftlicher Organisationen unterstütze Veranstaltung als „linksextreme Antifa-Aktion“ einzustufen. Trotzdem wirft die LVZ Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) vor, mit einem Bein in einer „Antifa-Falle“ zu stecken, da er den Aufruf dazu zwar selbst nicht unterschrieben, sich aber auch nicht ausdrücklich davon distanziert und zur Unterstützung einen Offenen Brief verfasst habe, der am Sonnabend auf dem Lindenauer Markt vorgelesen werden soll.

Es geht, daran muss an dieser Stelle vielleicht noch mal erinnert werden, um eine Aktion, mit der an das Ende des NS-Regimes erinnert und gegen diejenigen protestiert werden soll, die sich heute selbst in den Kontext des historischen Nationalsozialismus stellen. Der Vorsitzende des Leipziger NPD-Kreisverbandes etwa wurde dieser Tage rechtskräftig wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt, weil auf der Homepage der Partei die SS-Parole „Meine Ehre heißt Treue“ in verherrlichender Weise verwendet wurde.

Die LVZ folgt ganz dem in der Wissenschaft äußerst umstrittenen „Äquidistanzgebot“ des Extremismus-Forschers Eckhard Jesse von der TU Chemnitz, wenn sie von Jung verlangt, er müsse „Rechts- und Linksextremismus gleichermaßen“ verurteilen. Dem Oberbürgermeister ist zu raten, dieser Empfehlung nicht nachzukommen und sich weiter deutlich gegen Neonazis auszusprechen. Die Kritik von Weißgerber und Feist an dem Aktionstag in Lindenau läuft auf den Versuch hinaus, jeglichen Antifaschismus zu diskreditieren, der sich nicht gleichzeitig auch als Anti-Extremismus und Anti-Antifaschismus gibt. Am meisten Beifall dafür ist ihnen von den Nutzer_innen des NPD-Zentrums in der Odermannstraße gewiss. Diese betrachten den 8. Mai auch nicht als Tag der Befreiung. Und gefeiert wird stattdessen am 20. April.