Schluss mit Volk und Nation!

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Oder warum „Kapitalismuskritik von rechts“ nichts mit Kritik zu tun hat

Anlässlich der letzten (!) Demonstration des Hamburger Rechtsextremisten Christian Worch und seiner Gefolgschaft am 21. Juli 2007 in Leipzig verfasste das Forum für Kritische Rechtsextremismusforschung (FKR) einen Redebeitrag für die Gegendemonstration des Bündnisses „Queerstellen Sitzenbleiben gegen Nazis!“. Das Motto der Nazidemo „Arbeit in der Heimat für gerechten Lohn“ inspirierte das FKR zu folgender Auseinandersetzung mit völkischer Kapitalismuskritik:

Während rechtspopulistische Bewegungen in Deutschland in der Vergangenheit eher neoliberalen Vorstellungen zugetan waren1, propagieren neonazistische Rechte seit einigen Jahren einen völkischen Antikapitalismus. Die NPD und die freien Kameradschaften begreifen dabei den Kapitalismus nicht als einen gesamtgesellschaftlichen Zustand, sondern als ein von oben, und damit von wenigen auferlegtes System.

Indem sie “skrupellose” multinationale Konzerne und die ihnen marionettenhaft unterstehenden Politiker als die Verursacher aller sozialen Probleme identifizieren, drücken sie sich nicht nur um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Ursachen und Mechanismen der kapitalistischen Produktions- und Warentauschverhältnisse, sondern reproduzieren auch mehr oder weniger offen ihre alten Feindbilder.

So ist die Grenze zum offenen Antisemitismus überschritten, wenn die Drahtzieher der neoliberalen Globalisierung an der US-amerikanischen Ostküste verortet werden, die angeblich mit ihrer „One World“-Ideologie die „Vielfalt der Völker“ unterminiert. Die Ostküstenmetapher dient den Rechten als Symbol für das amerikanische Judentum. Hierbei entlarvt sich neonazistische Kapitalismuskritik als platte Verschwörungstheorie. Dabei wird an eine Tradition aus dem so genannten „linken“ Flügel der NSDAP angeknüpft, der unter Gregor Strasser und anderen das Konzept eines „Nationalen Sozialismus“ entwickelt hatte. Dieser Versuch dem Nationalsozialismus ein sozialrevolutionäres Profil zu geben und unter der Arbeiterschaft zu mobilisieren endete in einem Machtkampf innerhalb der Partei, den Hitler 1934 für sich entschied.

Der Nationale Sozialismus, der seit einigen Jahren bei NPD und freien Nazis eine Renaissance erfährt, zielt dabei keineswegs auf Klassenkampf und Emanzipation von autoritären Herrschaftsverhältnissen, ganz im Gegenteil. Er stellt vielmehr eine Scheinopposition dar. Die auf marktwirtschaftlicher Ebene abgelehnten Mechanismen von grenzenloser Konkurrenz und egoistischer Nutzenmaximierung werden in der völkischen und rassistischen Ideologie wieder aufgegriffen und in einen Überlebenskampf des Volkes gegen innere und äußere Feinde gesteigert. Die Identifizierung von Feindbildern verläuft dabei über die pseudotheoretische Unterscheidung zwischen einem guten, produktiven, schaffenden Kapital und dem zersetzenden, parasitären, raffenden Kapital. Eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus, die diesen Namen verdient findet nicht statt; die Kapitalismus konstituierende „Wert-Verwertung“ bleibt unreflektiert und unangetastet.

Diese verkürzte Kapitalismuskritik, einschließlich der Identifizierung klarer Feindbilder, erweist sich für die NPD vor allem in Ostdeutschland, wo sich viele Menschen als Wende- und Globalisierungsverlierer, also als vom Kapitalismus im doppelten Sinne betrogen begreifen, als erfolgreiches Agitationsfeld. Die Soziale Frage, die inzwischen für diese Menschen wieder zentrale Bedeutung erlangt hat, wird dabei im Nationalen Sozialismus aufgegriffen und zur Nationalen Frage uminterpretiert. Die Antwort ist die Volksgemeinschaft als Solidargemeinschaft unter Ausschluss aller als volksfremd identifizierten Elemente. Das beinhaltet auch die Ausmerzung.

Gleichzeitig ermöglicht es diese Themenbesetzung den Freien Kameradschaften, sich einen sozialrevolutionären Anstrich zu verpassen und mit massiven Anleihen aus der linken Jugendkultur das Bild des progressiven Autonomen Nationalisten zu zeichnen, was ihre Attraktivität für junge Leute erheblich steigert. Sowohl die Elterngeneration als auch die Jugend erweisen sich dabei als sehr offen für rechte Positionen. Anschlussstellen „nach rechts“ ergeben sich aber eben nicht nur durch die feste Verankerung von Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Nationalismus in der „Mitte der Gesellschaft“2 und deren regelmäßige Bedienung durch Politik und Medien. Sie bestehen nicht zuletzt auch in der Anwendung verkürzter Kapitalismuskritik von Seiten der radikalen und der bürgerlichen Linken.

Wenn zum Beispiel Franz Müntefering gegen die „Heuschrecken“ wettert und Oskar Lafontaine die Angst vor „Fremdarbeitern“ schürt, ist klar, dass auch hier ein stark verkürztes Verständnis von Kapitalismus und Globalisierung vorliegt Lösungsmöglichkeiten für die so diagnostizierten Krisensymptome werden auch hier nur in nationalen Kategorien gedacht.

Eine konsequent emanzipatorische Kapitalismuskritik muss Schluss machen mit Kategorien wie Volk und Nation. Der Kapitalismus, den machen nicht „die Anderen“: den machen „wir“ selbst!


 

1 so u.a. die SCHILL-Partei oder DVU und NPD, die in ihren alten Programmen nicht müde wurden gegen Stimmung gegen vermeintliche „Sozialschmarotzer“ an der Leistungsgesellschaft zu machen 

2 Vgl. u.a.: Decker, Oliver / Brähler, Elmar (2006): Vom Rand zur Mitte - Rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland, Berlin.