Vortragsreihe 2006/06: Freie Radikale. Rechte Elemente in Diskursen der Mitte

Druckeroptimierte VersionAls Email sendenPDF VersionWas wird in aktuellen politischen und gesellschaftlichen Debatten in der BRD wahrnehmbar? Da sind zum Beispiel der im Umfeld der Fußball-WM diskutierte gute, neue Patriotismus und Kampagnen wie „Du bist Deutschland“; das Thema Migration wird in Begriffen und Zuweisungen wie Parallelgesellschaften, Einbürgerungstests, Religion und Terrorismus verhandelt; Diskussionen machen sich um das Aussterben des hiesigen Volkes größtmögliche Sorgen.

Sichtbar wird bei all diesen Themen eine Popularität von Argumenten und Diskurselementen im gesellschaftlichen Mainstream, die bislang eher der so genannten (extremen) Rechten zugeordnet wurden. An diese Beobachtung knüpfen sich verschiedene Fragestellungen:

  • Ist dies ein neues Phänomen – oder sind solche „freie Radikale“ historisch betrachtet schon immer Teil gesellschaftlicher Diskussionen?
  • Muss sich dann die Analyse und Kritik „rechter“ Denkfiguren von den Rändern ins Zentrum der Gesellschaft verschieben und kann man deshalb sogar von einem „Extremismus der Mitte“ sprechen?
  • Führen Zuschreibungen und Ordnungen wie „Rechts“, „Links“ und „Mitte“ nicht zu einer irreführenden Verengung der Perspektive?
  • Ist für eine Wissenschaft über einen Extremismus von Rechts (und Links) das Absetzen der theoretischen Scheuklappen notwendig?

Die eingangs erwähnten Debatten und Muster, die auf eine Ethnisierung der Politik und das vermehrte Auftreten völkischen Denkens hinweisen, sind aus unserer Sicht weder einmalige noch neuartige Phänomene gesellschaftlicher Auseinandersetzungen.

Wir glauben, dass solche Argumente und Strukturen erstens Verbindungen zwischen Mitte und Extremen verdeutlichen. Zweitens haben diese Verbindungen eine Geschichte, die es zu beleuchten gilt. Und drittens kann, betrachtet man die „freien Radikalen“ im Diskurs, ihr Entstehungs- und Wirkungszusammenhang nur in der Gesellschaft erklärt werden.

Das hängt auch mit konstatierten Vermischungs- und Auflösungstendenzen politischer Positionen und Lager zusammen. Mit Begriffen wie „rechts“ und “links“ lässt sich dadurch schwieriger operieren; dies bietet aber auch die Möglichkeit, den angesprochenen Diskursen nicht von vornherein „rechte“ Ideologie zu unterstellen und damit ihre Seriosität abzusprechen, sondern genauer hinzuschauen.

Unsere ReferentInnen werden diesen Vermutungen anhand einzelner Debatten nachgehen. Unser Fokus richtet sich auf Kontinuitäten und Brüche, sowie Orte und Mechanismen der Produktion und Integration von „freien Radikalen“.

Wo werden die Verbindungslinien solcher „freien Radikalen“ wie völkischem Nationalismus, Standortnationalismus, Ethnisierung von Politik und biopolitischen Argumenten zwischen Mainstream und Außen einer Gesellschaft sichtbar? Wie greifen Diskussionen dabei ineinander und wo sind Abgrenzungen erkennbar? Diese Fragen und mögliche Antworten sollen in der Vortragsreihe diskutiert werden.

Die Vorträge:

Deutsche Leitkultur” und “Parallelgesellschaften”. Diskurse der Rechten und der Mitte

Die aus den Sozialwissenschaften stammenden Begriffe „(deutsche) Leitkultur“ und „Parallelgesellschaften“ wurden in zentralen politischen Debatten aufgegriffen und eingespeist. Sie avancierten in den folgenden Jahren zu politischen Schlagworten, derer sich die politische Mitte ebenso bediente wie die extreme Rechte.

Der Vortrag skizziert die Begriffsgeschichte, präsentiert den theoretischen Hintergrund, zeichnet die Popularisierung der beiden Begriffe nach und analysiert (kultur)rassistische Implikationen.

Aktuelle Publikationen: „Massenmedien, Migration und Integration. Herausforderungen für Journalismus und politische Bildung“, (Hrsg.) Zus. m. Christoph Butterwegge; „Themen der Rechten – Themen der Mitte,“ (Hrsg., u. a.).

Wer? Prof. Dr. Gudrun Hentges, Fulda
Wann? Donnerstag, 26.10.06 , 19.00 Uhr
Wo? Neubau Geisteswissenschaften (“GWZ”), Beethovenstr. 15, Hörsaal 20.10 (Erdgeschoss)

Das lange Sterben der Deutschen

Vom „demografischen Niedergang“ Europas oder Deutschlands, dem „Aussterben der Deutschen“, von „demographischer Zeitenwende“, oder gar vom „Methusalem-Komplott“ ist viel die Rede. Der Referent versucht, diese Niedergangszenarien sowohl in historisch (Dis-)Kontinuitäten des letzten Jahrhunderts einzubetten, als auch die Prognose, dass immer mehr Alte immer weniger Jungen zur Last fallen werden, auf ihre wohl politische Wirkmächtigkeit hin zu untersuchen; denn dieser sog. „demografische Defätismus“ bietet vielen zu problematisierenden Politiken Anschlusspunkte und Legitimation.

Aktuelle Publikation: „Statistik und Staatlichkeit“.

Wer? Dr. Daniel Schmidt, Leipzig
Wann? Mittwoch, 15. November 2006, 19 Uhr
Wo? In der Moritzbastei (Ratstonne), Universitätsstraße 9, Leipzig

Vom Ort der Bürger zum Standort. Standortnationalismus als politischer Ausweg aus dem Entgrenzungsdilemma?

Der Ruf nach Standortsicherung wird immer lauter. Manchen erscheint dies als Rückkehr zum alten
Nationalismus. Verkannt wird, dass die Standortdebatte zum neoliberalen Ideal unbegrenzter Kapitalmobilität in Beziehung steht. In welchem Zusammenhang stehen heute Begriffe wie Raum, Grenze, Identitätsbildung und politische Machtstrategien?

Der Referent ist u. a. Autor des Buches “Raum, Macht, Einheit. Sozialphilosophische und politiktheoretische Reflexionen”.

Wer? Dr. habil. Wolfgang Luutz, Leipzig
Wann? Mittwoch, 13. Dezember 2006, 19.00 Uhr
Wo? In der Moritzbastei (Ratstonne), Universitätsstraße 9, Leipzig

Volk, Staat und Nation. Zur historischen und begrifflichen Genese des Völkischen Nationalismus.

Erstens wird die historische Entwicklung des Völkischen Nationalismus und seiner (Dis-)Kontinuitäten in Deutschland skizziert (Politische Romantik, völkische Bewegung im Kaiserreich, Konservative Revolution und NS, Neue Rechte heute). Zweitens wird die systematische Frage aufgeworfen, wie und warum völkisch-nationalistisches Denken im Alltagsbewußtsein der Bürgerlichen Gesellschaft verankert ist? Drittens werden Beispiele der letzten Jahre, wie z.B. die Hohmann-Affäre analysiert.

Der Referent, Gymnasiallehrer und Oberstudienrat, Mitarbeiter im DISS, ist u. a. Mitherausgeber des Buches “Völkische Bande. Dekadenz und Wiedergeburt - Analysen rechter Ideologie”.

Wer? Helmut Kellershohn, Duisburg
Wann? Mittwoch, 10. Januar 2007 um 19 Uhr
Wo? In der Moritzbastei (Ratstonne), Universitätsstraße 9, Leipzig

Die Partner:

Forum für Kritische Rechtsextremismusforschung

Das Forum (vorher: Forschungsgruppe NPD und Neue Rechte Sachsen) betrachtet sich als Schnittstelle für verschiedene organisatorische und inhaltliche Diskussionspunkte: Wir versuchen erstens, durch Tagungen, Vortragsreihen, Workshops etc. Verbindungslinien zwischen Wissenschaft und politischer Bildungsarbeit zu ziehen. Dabei geben wir sowohl gestalterische als auch inhaltliche Impulse. Zweitens möchten wir die vorherrschende Forschung zum Thema „Rechtsextremismus“ einer kritischen Betrachtung unterziehen; zu problematisieren ist u. a. eine Einordnung der Problemlage am Rande der Gesellschaft, anstatt sie in die Mitte zu rücken. Zum Dritten möchten wir Forschungen zu Themen wie „Rechtsextremismus“, Rassismus, Völkischer Nationalismus usw. im hiesigen wissenschaftlichen Umfeld ein sichtbares Austausch- und Beratungsforum bieten.

Verantwortliche: Dipl.-Pol. Anne Dölemeyer, Dipl.-Pol. Elena Futter, Anne Mehrer, M. A., Dipl.-Pol. Stefan Kausch
Kontakt: fgnnrs [at] engagiertewissenschaft.de

Herbert-Wehner-Bildungswerk e.V.

Das Herbert-Wehner-Bildungswerk ist ein parteinunabhängiger sozialdemokratischer Verein, der in Sachsen politische Bildungsarbeit betreibt. Mit den Seminaren und Veranstaltungen möchte das Wehnerwerk zum gesellschaftlichen und politischen Engagement ermutigen und befähigen.

Kontakt: Herbert-Wehner-Bildungswerk, Kamenzer Str. 12, 01099 Dresden, Tel: 0351-8040220, info@wehnerwerk.de, www.wehnerwerk.de  


Broschüre zur Vortragsreihe

Die Einführung zur Vortragsreihe und die Übersicht über die Vorträge können sie sich auch als Broschüre herunterladen.

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