Zur diskursiven Lage der „deutschen Nation“

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Beitrag des Forum für Kritische Rechtsextremismusforschung für das Powision-Magazin “Extremismus” am Institut der Politikwissenschaft der Universität Leipzig (www.powision.de).

„Wir haben es […] mit einer gesellschaftlichen Entwicklung zu tun, die zwar keine Wiederholung des Dritten Reiches bedeuten wird, die aber eine Gesellschaft zur Folge haben könnte, die autoritär, gefährlich und für viele Menschen bedrohlich ist.“1 Die besorgniserregenden Entwicklungen am ‚extremen’ rechten Rand der Gesellschaft in den letzten Jahren (Wahlerfolge rechter Parteien, Zunahme rechtsextrem motivierter Straftaten usw.) dürfen den Blick nicht dafür verstellen, dass es v.a. die gesellschaftliche „Mitte“ ist, die diskursiv verhandelt, welche Positionen zurzeit als ‚extrem’, und welche als ‚normal’ oder ‚demokratisch’ gelten.

Diskurse verstehen wir dabei als „Flüsse von Wissen durch die Zeit“2, welche als Träger von aktuell gültigem Wissen Denk- und Handlungsfelder mitbestimmen3 und somit Macht-Wirkungen ausüben. Diese Diskurse konstituieren Sagbarkeits- und Möglichkeitsfelder, in denen individuelle gesellschaftspolitische Einstellungen mitproduziert werden4. Eine Analyse und Kritik ‚rechter Extreme’ muss so auch immer Diskurse der ‚Mitte’ in den Blick nehmen, um Verbindungen und Anschlussstellen zwischen beiden, vermeintlich klar abgrenzbaren Bereichen aufzeigen.

Die Renaissance des Patriotismus

„Wir sind Deutschland. Ja zu Schwarz-Rot-Gold! Ja zu Deutschland-Fahnen am Auto! Ja zu deutschem Bier! Ja zur deutschen Frau, die lächelnd zuschaut!“5 war in der Bild-Zeitung während der Fußball-WM 2006 in Deutschland zu lesen. Diese und unzählige weitere mediale Selbstbeweihräucherungen der wieder entdeckten „Wir“-Gruppe können als vorläufiger Höhepunkt eines „Neuen Patriotismus“ gelten, der seit dem Sommer 2006 endgültig massentauglich geworden zu sein scheint. Nachdem „Wir“ schon Exportweltmeister, Papst und Oscar sind, können wir auch endlich wieder „Wir Deutschen“6 sein. Dabei verwundert es nur auf den ersten Blick, dass in den Augen der Öffentlichkeit kollektives Glücksgefühl und Normalisierung des deutschen Selbstbildes sich so überraschend und unerwartet Bahn brachen. Tatsächlich laufen seit Jahren diskursive Prozesse in Richtung einer Modernisierung des „Deutschtums“. Beispielhaft hierfür stehen groß angelegte mediale Imagekampagnen wie die 2002 gegründeten Initiativen „Deutschland packt’s an“ und „Deutschland TM“, letztere mit dem selbst gesteckten Ziel der Schaffung und Unterstützung von zweierlei Identitäten: einer deutschen „Corporate Identity“ für die Unternehmen und einer nationalen Identität für jeden Einzelnen. In vorbildlicher Arbeitsteilung haben die Kampagnen „Deutschland – Land der Ideen“ und „Du bist Deutschland“ vor der Fußball-WM diese die Identitätsbildung unterstützenden Aufgaben übernommen.7 Ein Positionspapier der Konrad-Adenauer-Stiftung prognostizierte bereits im Jahre 2004: „Patriotismus ist freilich kein seelischer Dauerzustand, er zeigt sich dann, wenn er (heraus-)gefordert wird. Hier ist an vieles an natürlichen [sic!] Emotionen zurückgedrängt worden“8. Es zeige sich darüber hinaus „das Bedürfnis, auch kollektive Emotionen öffentlich artikulieren zu dürfen. Es mehren sich die Anzeichen, dass dieses Bedürfnis zunimmt“. Inzwischen „darf“ man, und tut es auch nach Kräften. Überaus positive Bezüge auf den Patriotismus und die Nation finden sich auf allen Diskursebenen, vom Alltag über die Medien bis Politik und Wissenschaft.

Migrationsdebatten

„Zuwanderung muss im ökonomischen und integrationspolitischen Interesse Deutschlands bewusst und transparent gesteuert werden.“9 Für den nationalen Migrationsdiskurs lassen sich zwei problematische Merkmale festhalten: Erstens werden Einwanderung und Einbürgerung auf politischer Ebene vorwiegend anhand ökonomischer Verwertbarkeitskriterien diskutiert. Hierbei werden verschiedene Anforderungen an MigrantInnen formuliert, z.B. hinsichtlich Sprachbeherrschung, Kenntnissen „deutscher Kultur“ und Geschichte und wirtschaftlicher Selbstständigkeit. Diese Hegemonie erlangenden Diskurspositionen materialisieren sich schließlich in behördlichen Praktiken und der staatlichen Gesetzgebung. Vergab schon die 2000 von Rot-Grün eingeführte Greencard- Regelung Aufenthaltsgenehmigungen nur für hoch bezahlte Tätigkeiten im IT-Sektor, so sieht auch die aktuelle Reform des Zuwanderungsrechts Einbürgerungen nur bei wirtschaftlicher Selbstständigkeit der EinbürgerungskandidatIn vor. Zweitens werden durch die im Migrationsdiskurs verwendete Sprache Kategorien geschaffen. Man spricht z.B. von „Ausländern“, „Flüchtlingen“, „Asylanten“, „Muslimen“ oder „Türken“. Dabei mitgedacht: Deren Abgrenzung zur Gruppe der „Deutschen“. Den bezeichneten Individuen und Gruppen werden wiederum vermeintliche Eigenschaften und erwartbare Verhaltensmuster zugeschrieben, oft mittels stereotyper Bilder und Symboliken (der „Fremde“, die „Exotin“, das „passive Opfer“ etc.). Allein ihre Bezeichnung mit solchen Begriffen markiert sie als „unnormal“. Deutsche hingegen besitzen das Privileg des Unmarkiertseins und gelten so als implizite Norm. Hiermit verbindet sich einerseits eine indirekte Forderung nach kultureller Assimilation, andererseits führt „das Wissen über die anderen […] dazu, dass die Grenzen zwischen ‚uns’ und ‚ihnen’ im Alltag immer aufs Neue aufgerichtet werden; der Unterschied wird ständig reproduziert“10.

Orientierungshilfe Leitkultur

Fast ausschließlich in Bezug auf die türkische oder muslimische Minderheit in Deutschland findet der Begriff „Parallelgesellschaft“ vor allem auf den Diskursebenen Medien, Politik und Wissenschaft Anwendung. Unabhängig von seinem empirischen Gehalt11 produziert seine Verwendung eine mögliche Bedrohung der deutschen Mehrheitsgesellschaft durch ein Kollektiv des Fremden. Sicher nicht zufällig erfährt der Begriff der „deutschen Leitkultur“ im Kontrast zur „Parallelgesellschaft“ seit geraumer Zeit eine deutliche Aufwertung. Löste die Rede von einer „deutschen Leitkultur“ vor einigen Jahren noch heftige Gegenreaktionen aus, so findet sich der Begriff mittlerweile im neuen Entwurf des CDU-Grundsatzprogramms, definiert als „klares Bekenntnis zu uns selbst als einer durch Geschichte und Kultur geprägten Gemeinschaft“12 An weiteren Definitionen fürs „Deutschsein“ versuchen sich seit etwa einem Jahr die Einwanderungsfragebögen der Länder Hessen und Baden-Württemberg. Hier schlägt der einbürgerungswilligen KandidatIn anhand von Fragenkatalogen die gesamte Klaviatur ‚unserer’ Vorurteile entgegen: Einbürgerungswillige sind potenziell antidemokratisch, TerroristInnen, homophob, unterdrücken Frauen und neigen zu Polygamie und Ehrenmord. Die Deutsche dagegen zeichnet sich durch Toleranz, Demokratie-Begeisterung und vor allem eine „lebendige Geistes- und Kulturgeschichte“ aus13: Der Verweis auf Goethe und Schiller darf selbstverständlich auch hier nicht fehlen. Neben der permanenten Kennzeichnung von Unterschieden zu einem vermeintlichen „Deutschsein“ sind es vor allem exklusiv wirkende Definitionsinhalte des Leitkulturbegriffes (z.B. Deutschland als Geschichtsgemeinschaft und „Teil der europäischen Völkerfamilie“14, die nicht nur eine nachhaltige Integration erschweren, sondern offensichtlichen Anschluss an rechtsextreme Positionen bieten.

Extremismus der Mitte?

Effekt dieser drei Diskursstränge ist eine Verstärkung der Kategorien „Wir Deutsche“ in Abgrenzung zu „den Anderen“. Der angeblich harmlose „Neue Patriotismus“ schaufelt neue und befestigt alte Gräben zwischen den sprachlich und symbolisch vermeintlich klar abgrenzbaren Kollektiven; der Migrationsdiskurs spiegelt ‚unser’ Bild von ‚den’ AusländerInnen wider und weist ihnen ihre Rollen zu; die Debatte um eine Leitkultur letztendlich produziert verschiedene Ideen vom ‚Deutschsein’ die von Verfassungsloyalität bis zu „völkischen […] Ideologien“15 reichen. Sind die beschriebenen Diskurspositionen schon für sich allein bedenklich, so besteht ihre viel größere Gefahr in der Verschränkung mit anderen Diskurssträngen. Solche Verschränkungen können brisante Wirkungen hervorbringen. Bis Anfang der 90er Jahre beispielsweise dominierten in der Migrationsdebatte Neid provozierende Kostenargumentationen, die das Pogromklima für Rostock und Hoyerswerda mit zu produzieren halfen. Nach der faktischen Abschaffung des Asylrechts 1993 verlagerte sich der Schwerpunkt auf „eine angebliche Bedrohung Deutscher durch kriminelle Ausländer“16. Seit dem 11. September 2001 schließlich wird Einwanderung vor allem im Zusammenhang mit innerer Sicherheit und Terrorismus diskutiert. Durch die Migrationsdebatten und -politiken wird ein Staatsrassismus17 verhandelt und exekutiert, der nicht nur deutschlandweit, sondern EU- und weltweit Menschen ausschließt: an den Grenzen Deutschlands, vor allem an den Rändern der sog. „Festung Europa“ und innerhalb weltweiter Flüchtlings- und Migrationsregime.
Ein weiteres Beispiel: „Die Deutschen haben aus der Geschichte gelernt“18 – aber scheinbar nur, um sie endlich vergessen zu können: „Hitler und der Holocaust schienen noch immer stärker als die deutsche Gegenwart. Das ist vorbei. Letzte Zweifel dürften im Fahnenmeer während der Fußball- WM im vergangenen Sommer untergegangen sein“19. Mit dem Patriotismusdiskurs verknüpfen sich Debatten um Vergangenheitsbewälti- gung und Erinnerungskultur. Insgesamt sind als Trend für die politischen Diskurse jenseits und in Verbindung mit dem angesprochenen „Patriotismus“-Thema in der Bundesrepublik vielfältige Normalisierungstendenzen zu beobachten, die Bezug nehmend auf die Intention bestimmter politischer Akteure als erfolgreiche Salamitaktik zu beschreiben sind. Anschlussstellen nach rechts in Diskurselementen der Mitte treten hier offen zu Tage. Rechtsextremismus erscheint aus dieser Sicht als „Effekt von Diskursverschränkungen […] wobei das im engeren Sinne rassistische Wissen nur als ein Element einer diskursiven Konstellation anzusehen ist und nur als dieses eine Element Wirkung erzielen kann, wenn es sich mit anderen Diskursen verschränkt“20. Seine Bekämpfung muss somit mit einer „Mikropolitik der Kritik“ gesellschaftlicher Verhältnisse beginnen, die solche Rassismen, Essentialismen und Naturalisierungen konsequent aufdeckt21.  

ELENA BUCK, STEFAN KAUSCH  UND GREGOR WIEDEMANN FORUM FÜR KRITISCHE RECHTSEXTREMISMUSFORSCHUNG

 

1 Jäger, Siegfried (2001): Soziale Probleme und rechtspopulistische Demagogie, in: Heilig / Pau (Hrsg.): Für eine tolerante Gesellschaft – gegen Rechtsextremismus und Rassismus, Berlin, S.99.

2 Jäger, Siegfried (2004): Kritische Diskursanalyse, Münster, S.129.

3 Vgl. Wodak, Ruth et. al. (1998): Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität, Frankfurt/Main.

4 Vgl. dazu ausführlicher Buck, Elena/Kausch, Stefan/ Rodatz, Mathias (2007): „Einleitung“, in: „Diffusionen. Der Kleine Grenzverkehr zwischen Neuer Rechter, Mitte und Extremen, Dresden.

5 http://www.bild.t-online.de/BTO/news/aktuell/2006/06/ 08/kommentar/kommentar.html, 07.06.2007, 17:41.

6 Matussek, Matthias (2006): Wir Deutschen. Warum die anderen uns gern haben können, Frankfurt.

7 Langenscheidt, Florian (2006): Das Beste an Deutschland. 250 Gründe, unser Land heute zu lieben, Wiesbaden.

8 Buchstab / Gauger (2004): Was die Gesellschaft zusammenhält - Plädoyer für einen modernen Patriotismus, S.42.

9 BMI (2007): http://www.zuwanderung.de/3_polit- ziele.html, 08.06.2007, 21:04.

10 Terkessidis, Mark (2007): Die Banalität des Rassismus, in: FKR (Hrsg.): Diffusionen, Dresden, S.64.

11 Gegen eine empirische Relevanz des Begriffs: Janßen / Polat (2006): Soziale Netzwerke türkischer Migrantinnen und Migranten, in: APuZ 1-2/2006.

12 CDU (2007): Grundsätze für Deutschland. Beschluss der Grundsatzprogramm-Kommission.

13 Hessisches Ministerium des Innern (2006): Leitfaden Wissen & Werte in Deutschland und Europa.

14 CDU 2007

15 Hentges, Gudrun (2007): Themen der Rechten – Themen der Mitte. Das Plädoyer für eine deutsche Leitkultur als Lehrstück, in: FKR (Hrsg.): Diffusionen, Dresden, S.100.

16 Jäger 2001, S. 103

17 Zum Begriff des Staatsrassismus vgl. ausführlicher: Foucault, Michel (2001): In Verteidigung der Gesellschaft, Frankfurt/Main; Stingelin, Martin (2003): Biopolitik und Rassismus, Frankfurt/Main.

18 Hessisches Ministerium des Innern 2006

19 Der Spiegel (2007): Die Erfindung der Deutschen. Wie wir wurden was wir sind, Ausgabe 4/2007.

20 Jäger 2001, S. 105

21 Vgl. Buck / Kausch / Rodatz 2007, S. 17ff

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